Die chilenische Privat-Reederei Australis kokettiert geradezu mit der Tatsache, dass die wichtigsten Nachrichten während dieser Reise ja schließlich im Intranet zu finden seien: die täglichen Ausflüge, die Vortragszeiten des Expeditionsteams und natürlich die Essenszeiten.
TAG 1
Gabor, ein junger Österreicher und einer der Expeditionsleiter, heißt uns in der Darwin Lounge an Bord der Stella Australis willkommen, stimmt uns eloquent und kurzweilig auf die kommenden Tage ein und gibt uns gleich einmal Tanzunterricht. Nein, nicht ganz, doch wer von uns Passagieren bei der Erwähnung des Begriffs „Cha-Cha-Cha“ zunächst an einen Tanz denkt, der wird von Gabor schnell eines Besseren belehrt. Gemeint ist nämlich die Schrittfolge, die wir die kommenden Tage noch zur Genüge beim Einsteigen in die Zodiacs üben werden: Rubber, Box, Step. Der erste Schritt vom Schiff auf das Schlauchboot geht zuerst auf das Gummi, dann auf die darunter befindliche Holzkiste im Innern des Schlauchboots und schließlich auf den Boden des Zodiacs, gefolgt vom sofortigen Hinsetzen. Eine Verhaltensregel zu unserer Sicherheit bei auch mal höherem Wellengang und ein feststehender Begriff, den alle Gäste, die jemals an Bord von Stella Australis gewesen sind, wohl nie mehr vergessen werden. Cha-Cha-Cha hat für uns eine neue Bedeutung erhalten.
Wir verlassen den Hafen von Ushuaia bei einem wunderschönen Sonnenuntergang.
Nächster Programmpunkt: Abendessen. Die schmackhafte und lokal geprägte Küche hält die nächsten Tage immer wieder außergewöhnliche Spezialitäten für uns bereit. Am ersten Abend ist es ein Oktopus Carpaccio, das uns bereits eingedeckt an unserem Tisch erwartet. Wir haben nachfolgend die Wahl zwischen zwei Suppen, zwei Hauptgerichten und zwei Desserts. Wer also ein sechsgängiges Menü mit einer Auswahl von jeweils mehreren Gerichten erwartet, ist hier falsch. Dafür gibt es auch mal Spanferkel, gekochte Rinderbrust oder rosa gebratenen Thunfisch. Deftig und lecker.
TAG 2
Der nächste Morgen beginnt mit dem Weckerklingeln um 05:00 Uhr und der spannenden Frage: Können wir an der Insel Hoorn anlanden und das berühmte Kap Hoorn mit eigenen Füßen betreten – oder nicht. Die Reise vor uns hat es leider nicht geschafft und die Fahrt nach uns ebenfalls nicht (wie ich kürzlich erfahren habe). Es müssen einfach sehr viele Faktoren passen, um die Anlandung hier in einer der stürmischsten Regionen weltweit mit den Zodiacs durchführen zu können. Doch der Wettergott meint es gut mit uns: Wir erleben einen traumhaften Sonnenaufgang mit fast wolkenfreiem Himmel, es herrscht nicht zu viel Wind und der moderate Wellengang lässt unseren Kapitän schließlich „grünes Licht“ für den Besuch von Kap Hoorn geben!
Also Cha-Cha-Cha in die Boote und auf zur etwa zehnminütigen Überfahrt. Ein Kaiser-Kormoran begrüßt uns keine drei Meter entfernt vom Landungssteg und scheint unserem Anlegemanöver interessiert zuzuschauen. Wir steigen über zig Stufen etwa 400 Höhenmeter hinauf bis zum Hochplateau der Insel, weiter über schmale Stege ein Stück ins Landesinnere, bevor es dann auf einer kleinen Anhöhe vor uns liegt: das berühmte Albatros Denkmal.
Zu dessen Füßen steht eine Inschrift der Dichterin Sara Vial, in der es sinngemäß heißt: „Ich bin der Albatros, der am Ende der Welt auf dich wartet. Ich bin die vergessene Seele der toten Seeleute, die aus allen Meeren der Erde hierher kamen, um Kap Hoorn zu umsegeln. Sie starben nicht in den tosenden Wellen, sie fliegen vielmehr auf meinen Schwingen in die Ewigkeit, wo am tiefsten Abgrund der antarktische Sturm heult“.
Schön traurig und gleichzeitig hoffnungsvoll, nicht wahr?
Bis alle Erinnerungsfotos und Selfies gemacht sind, dauert es natürlich eine Weile, doch Zeit spielt an diesem Punkt der Erde nur eine Nebenrolle. Wir lassen die Blicke schweifen. Südlich von uns liegt nach fast zwei Tagen Seereise durch die berüchtigte Drake Passage nur noch die Antarktis, der "sechste Kontinent", und der mittlerweile doch recht starke Wind erinnert uns daran, welches Glück wir haben, hier oben auf Kap Hoorn stehen zu dürfen. Seit seiner Entdeckung im Jahre 1616 war dies nicht allzu Vielen überhaupt vergönnt.
Es geht zurück über die teils hölzernen, teils aus Gittern bestehenden Stege und weiter zum Leuchtturm der Insel, der das ganze Jahr von einem Mitglied der chilenischen Marine und seiner Familie besetzt ist und deren Gebäude wir auch betreten dürfen. Die Kinder des Offiziers verkaufen dort selbstbemalte Steine, ihre Mutter eine große Auswahl selbstgestrickter Socken und Mützen. Irgendwie muss man sich die Zeit ja hier vertreiben und die Laufkundschaft hält sich naturgemäß in Grenzen, also greifen viele von uns zu.
Nachmittags steht das Anlanden in der geschichtsträchtigen Wulaia Bucht auf dem Programm. Hier befand sich früher eine der größten Siedlungen des einheimischen Yaghan-Stammes. Darwin beschrieb die Bucht bereits auf seinen Fahrten mit der HMS Beagle und Fitz Roy fertigte Zeichnungen davon an. Die Bucht liegt geschützt im Gewirr der vielen Fjorde und Wasserstraßen Patagoniens und verfügt quasi über einen natürlichen Hafen, in den die Stella Australis ihren Anker werfen kann.
Nach dem Übersetzen mit den Zodiacs erlaufen wir die Bucht auf drei Wanderwegen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade. Der mittlere und schwere Weg führt uns durch teilweise dichten, verwunschenen Magellan-Wald mit vielen endemischen Pflanzen hinauf zu einem Aussichtspunkt, von dem aus wir einen wunderschönen Blick auf die vielen kleinen Inselchen und unser Schiff haben.
Australis betreibt in einer verlassenen Radio-Station ein kleines Museum, in dem man viel über die Kultur und Geschichte der Region und deren Bewohnern erfahren kann. Dieses besuchen wir auf dem Rückweg und als Belohnung für die Mühen des Wanderns erwartet uns hier ein heißer Kakao – auf Wunsch auch mit einem Schuss Whisky!
Wer möchte, kann im Museum auch ein uraltes Postsystem wieder aufleben lassen, das bereits zu Zeiten der alten Seefahrer und Weltentdecker genutzt wurde: In ein offenes Postfass (ja, Fass!) werden Postkarten an die Liebsten oder Freunde (mit Adresse, aber ohne Briefmarke) geworfen. Passagiere von nachfolgenden Expeditionsfahrten schauen diese Karten durch, ob vielleicht eine für ihr Heimatland und ihre Region dabei ist, nehmen diese Karte mit und liefern sie idealerweise persönlich beim Empfänger aus (pssst: es soll vorgekommen sein, dass auch Karten mit einer Briefmarke versehen und verschickt wurden, aber historisch gesehen ist natürlich der erste Weg der korrekte). Egal wie: einfach ausprobieren – es funktioniert!
TAG 3
Am nächsten Morgen besuchen wir endlich unseren ersten Gletscher! Der Pia Gletscher verdankt seinen Namen Prinzessin Maria Pia von Savoyen (1847-1911), der Tochter des Königs von Italien.
Es gibt zwei unterschiedlich körperlich anspruchsvolle Wandermöglichkeiten, um den Gletscher zu erkunden bzw. an seiner Flanke entlang zu laufen. Beide Exkursionen bieten faszinierende Ausblicke auf einen der aktivsten Eisströme Patagoniens. Das laute Knacken und Knallen aus Richtung des Gletschers, deutet auf diverse Eisabbrüche (das sogenannte "Kalben") hin, doch die meisten Abbrüche finden heute offensichtlich in seinem Innern statt. Manche von uns können kleinere Abbrüche aber auch „live“ und hautnah an der äußeren Abbruchkante verfolgen, während anderen vielleicht die Sicht gerade durch Bäume verdeckt ist oder sie sich von der grandiosen Landschaft ablenken lassen. Egal, wir waren alle dort und haben das Donnern zumindest gehört.
Nach dem Mittagessen geht es in einen anderen Arm des Pia Fjords zum Porter Gletscher. Dies erfolgt allerdings ohne Anlandung und nur per Navigation auf den Schlauchbooten. Sie erinnern sich: Cha-Cha-Cha… und es regnet. Also sind Regenhose, Regenjacke und Handschuhe dringend empfohlene Kleidungsstücke, denn andernfalls kann es bei 3 Grad Außentemperatur und einer Stunde Aufenthalt im Zodiac schon etwas ungemütlich werden. Aber ausnahmslos alle Passagiere an Bord sind bestens ausgerüstet, denn schließlich war es ja schon länger bekannt, in welche manchmal unwirtliche Gegend uns unsere Reise führen wird.
Der Porter Gletscher liegt jetzt direkt vor uns und pünktlich zu diesem Ereignis hört auch der Regen auf – es ist schon recht angenehm, wenn die Reiseleitung auch gleich fürs entsprechende Wetter sorgt!
Wir fahren den Gletscher entlang und lauschen den interessanten Ausführungen unseres Guides. Panoramaaufnahmen, Selfies und Gruppenbilder werden von Bord des Bootes aus gemacht und nach jeder Exkursion auch brav mit den Guides geteilt, so dass am Schluss unserer Reise eine tolle Fotoshow mit den besten Aufnahmen aller Passagiere gezeigt werden kann. Eine sehr schöne Idee!
TAG 4
Diese Nacht wird etwas schaukelig, denn wir verlassen den Beagle Kanal, fahren ein Stück entlang des großen Pazifiks und biegen zu guter Letzt in den wieder geschützten Cockburn-Kanal ein. Hier liegt der De Agostini Nationalpark, benannt nach dem italienischen Missionar Alberto De Agostini, der ebenfalls ein leidenschaftlicher Bergsteiger, Forscher, Fotograf und Filmdokumentator war – ein echtes Allround-Talent eben – und der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hier mit den damaligen Einwohnern lebte und arbeitete. Von ihm stammen die ersten fotografischen und filmischen Dokumente überhaupt aus dieser Gegend, die damals die geografischen Gegebenheiten recht genau festhielten und teilweise bis heute noch Gültigkeit haben.
Der Agostini Fjord ist von zahlreichen Gletschern mit dahinter liegenden Bergen und schneebedeckten Gipfeln gesäumt. Gleich am Morgen besuchen wir den Aguila Gletscher. Also Cha-Cha-Cha und nichts wie an den Strand. Nein, nicht zum Baden bei etwa 5 Grad Wassertemperatur, sondern zu einem äußerst lehrreichen Spaziergang. Wir erfahren viel über riesige Algenwälder unter Wasser, seltsame Pflanzen in Form von Baumpilzen, Flechten, die nur in absolut reiner Luft wachsen können, Schnecken, die ihre Opfer mit Salzsäure „knacken“ und dann mit ihrem Rüssel aussaugen und vieles mehr. Viel spannender als der Biologie-Unterricht damals in der Schule!
Ja, und am Ende des Spaziergangs liegt unser Gletscher in einer Lagune, die er im Laufe der Jahrtausende selbst geschaffen hat. Das vielleicht Interessanteste ist aber die Tatsache, dass dieser Gletscher von einem richtigen Urwald gesäumt wird! Also werden wir schon einmal darauf eingestimmt, in den nächsten Minuten absolute Stille walten zu lassen und dann gehen unsere Guides mit uns zum „Waldbaden“. Dieses Erlebnis ist einfach unbeschreiblich, deshalb versuche ich es gar nicht erst und lasse es nur bei seiner Erwähnung.
Am Nachmittag werden wir unsere Zodiacs wieder besteigen, um zu einem relativ kleinen Fjord zu gelangen, an dessen Ende der Condor Gletscher liegt. Auf dieser Fahrt lässt sich ganz besonders die Schönheit des schmalen Felsenkorridors bewundern, den der Gletscher in zigtausenden von Jahren in Stein modelliert hat.
Für viele von uns ist Condor der wahrscheinlich schönste Gletscher unserer Reise. Eisiges Weiß und stählernes Blau kontrastieren mit dem Schwarz des davorliegenden Strandes und der Felsbrocken darauf. Gletscherbäche stürzen neben uns ins Tal und speisen den Fjord mit immer frischem Wasser. Eine absolute Traumkulisse.
Auf dem Rückweg machen wir noch einen Stopp bei zwei Kolonien von Kaiser- und Felsen-Kormoranen, an denen wir bereits auf unserer Hinfahrt vorbeigekommen sein müssen, diese aber haben achtlos im wahrsten Sinne des Wortes links liegenlassen. Sie waren uns einfach nicht aufgefallen. Zum Glück aber haben wir unsere Guides!
TAG 5
Unsere Reise neigt sich dem Ende zu. Nochmals klingelt der Wecker bereits um fünf Uhr früh, aber statt gleich morgens endgültig von Bord gehen zu müssen, wie bei anderen Reedereien, liegt noch ein weiteres Highlight vor uns: der Besuch von Magdalena Island mit seiner Kolonie von Magellan Pinguinen!
Tagsüber füllt sich die Insel mit vielen Besuchern vom nahegelegenen Festland, die mit Ausflugsbooten hierherkommen, doch wir haben Insel und Pinguine ganz für uns.
Außerdem sind um diese Uhrzeit noch sehr viele dieser possierlichen Tiere in ihren Bauten anzutreffen, denn Pinguine haben offensichtlich keinen Wecker und schlafen daher schon mal etwas länger, bevor sie sich gleich nach der Morgentoilette in die Fluten stürzen um auf Nahrungssuche zu gehen. Unser Glück.
Und so fällt der Abschied schwer, von den Pinguinen, von der grandiosen Landschaft, vom Schiff und von der tollen Crew, weshalb ich jederzeit wieder zurück an Bord kommen würde – zum Cha-Cha-Cha!